Jennifer Kießling von The Mindful Drinking Club in Berlin im Interview über bewussten Alkoholkonsum, Trinkgewohnheiten und alkoholfreie Weinalternativen.
Ich steh ja nicht so auf Neujahrsvorsätze, aber am 31. Dezember 2022 habe ich mir gesagt: Ich mache jetzt auch mal beim „Dry January“ mit. Die ersten Wochen war es eine starke Umgewöhnung, bin ich doch bekennende Naturweinliebhaberin. Aber mit der Zeit hat es sich richtig gut angefühlt. Dann verging Monat für Monat alkoholfrei und ich habe mich nach vielen Alternativen umgeschaut und sie auch gefunden. Menschen, die solche richtig toll kuratieren und beratend zur Seite stehen, sind Jennifer Kießling und Max Lielje von The Mindful Drinking Club in Berlin und deshalb habe ich mich mit Jennie etwas darüber unterhalten.
Ihr habt 2021 The Mindful Drinking Club in Berlin eröffnet. Von außen sieht der Laden aus wie eine coole Weinhandlung und drinnen erwartet KundInnen aber ein fein kuratiertes alkoholfreies Sortiment. Der Konsum von alkoholischen Getränken ist seit Jahren rückläufig und es gibt immer spannendere alkoholfreie Alternativen am Markt. Wie seht ihr den gesellschaftlichen Wandel zum Thema Alkohol, der gerade voll im Gange ist und wie ist euer Konzept dazu entstanden?
Wir nehmen Veränderungen in verschiedenen Bereichen und mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen wahr. Insgesamt würde ich sagen, dass es vielen Menschen nach und nach leichter fällt, nach einer alkoholfreien Alternative zu fragen, weil sich die Sichtbarkeit und Wahrnehmung der Produkte langsam verändert. Das Angebot wächst sowohl in Quantität und Qualität, beides ist enorm wichtig für eine nachhaltige Veränderung, aber wir stehen da als Gesellschaft wirklich noch ganz am Anfang. Auch wenn der Konsum von alkoholischen Getränken insgesamt rückläufig ist, muss man sich immer wieder vor Augen führen, wie tief Alkohol in unserer Gesellschaft verankert ist, wie sehr Alkohol mit vielen Ritualen, Festen und Anlässen verknüpft ist. Wer an Anstoßen denkt, denkt in den allermeisten Fällen den Alkohol direkt mit. Es heißt ja nicht umsonst Trinkgewohnheit, wir sind eben daran gewöhnt, haben uns als Gesellschaft den Alkohol über Jahrhunderte – und als Einzelpersonen über Jahre oder Jahrzehnte – angelernt. Das braucht Zeit, Offenheit, und auch viel Mut, sich kritisch mit Alkohol und dem eigenen Konsum auseinanderzusetzen und ist eine mentale und emotionale Leistung. Und es wird einem auch nicht gerade leicht gemacht in vielen Situationen. Da möchten wir ansetzen, wir möchten Alternativen bieten, die hochwertig, komplex und divers sind. Eine Apfelschorle ist toll beim Einkehren nach einer Wanderung, aber keine Alternative auf Augenhöhe zu einem Glas Wein. Wir glauben, dass nur mit einer hochwertigen und diversen Auswahl eine ehrliche Entscheidung überhaupt möglich ist, daran arbeiten wir, im Laden, bei Workshops, und mit Partner:innen aus der Gastronomie.
„Mindful Drinking“ oder der bewusstere Umgang mit dem eigenem Alkoholkonsum steht bei euch ganz klar im Vordergrund. Was ist für euch persönlich „Mindful Drinking“? Wie kuratiert ihr eurer Sortiment und wie findet man die richtigen Alternativen zum perfekten Essen ohne Alkohol?
Mindful Drinking bedeutet für mich vor Allem einen ehrlichen und reflektierten Umgang mit dem eigenen, aber auch mit dem gesamtgesellschaftlichen Trinkverhalten. Das bedeutet nicht ausschließlich, dass man sich über Alkohol Gedanken macht, sondern auch darüber, woher die Getränke eigentlich kommen, wer dahinter steht, usw. Wir kuratieren unser Sortiment grundsätzlich so, dass alkoholfrei allein nicht das Qualitätskriterium sein darf. Ganz grob: Nur weil etwas alkoholfrei ist, ist es nicht automatisch gut. So ähnlich wie bei veganen Alternativen: Nur weil etwas vegan ist, ist es noch nicht automatisch nachhaltig. Wir versuchen eine breite Auswahl abzubilden, die wirklich für jede/n etwas bereithält. Für die meisten Kund:innen, die zum ersten Mal zu uns kommen, ist es eine totale Überraschung, wie viele Kategorien, wie viel Auswahl es überhaupt gibt. Interessierte können sich bei uns herantasten, ausprobieren und beraten lassen. Wir haben immer eine wechselnde Auswahl offen, denn das Wichtigste ist erstmal zu probieren und zu überlegen: schmeckt mir das Getränk, macht es mir Spaß? In der Beratung gibt es verschiedene Ansätze, für uns ist aber immer wichtig, den Kund:innen die Angst zu nehmen, etwas falsches zu sagen, denn es gibt kein falsches Geschmacksempfinden. Es hilft sicher, nach ein paar grundsätzlichen Vorlieben der Kund:innen zu fragen, aber wenn jemand zum Beispiel eine ganz klare Vorstellung von einem Getränk hat, ist es nicht immer hilfreich, zu versuchen, so nah wie möglich da ran zu kommen. Ein klassisches Beispiel: Kund:in trinkt gerne schweren Rotwein und möchte das jetzt gerne in alkoholfrei. Und das geht in unseren Augen schlichtweg (noch) nicht. Ich versuche, dann immer herauszufinden, was der Anlass ist, was die Person an dem Erlebnis schätzt, welchen Zweck das Getränk erfüllen soll. Und das bedeutet häufig, dass wir am Ende bei einer ganz anderen Kategorie landen als bei einer relativ konkreten Weinalternative. Eine ganze Branche verändert sich gerade und in der Gastronomie sind alkoholfreie Getränkebegleitungen zum Essen und gut kuratierte alkoholfreie Getränkekarten gefragter denn je.
Ihr bietet auch Beratungen für Restaurants an und euer Motto lautet „Pairing is caring“. Wie seht ihr da die Zukunft? Passen alkoholfreie Begleitungen genauso zum Essen wie eine klassische Weinbegleitung?
Auf jeden Fall kann man mit einer alkoholfreien Getränkebegleitung ein ebenso spannendes Erlebnis bieten wie mit einer Weinbegleitung. „Caring“ ist das Stichwort: Die Restaurants müssen das wollen, sonst funktioniert es nicht. Umgekehrt merken wir aber auch, wie gut sich Alternativen verkaufen, wenn das Personal dahinter steht und das mit Freude und Überzeugung an die Gäst:innen bringt. Für mich als Gast ist gar nicht so entscheidend, ob die Auswahl oder das Pairing perfekt sind. Das ist natürlich wünschenswert und es sollte auch nicht völlig daneben sein, aber viel wichtiger ist für mich: Fühle ich mich gesehen und ernst genommen als Kundin? Habe ich das Gefühl, für mich wurde mitgedacht, oder komme ich mir wie ein Gast zweiter Klasse vor, weil ich keinen Alkohol trinke? Es macht doch schon zu Beginn meines Besuchs einen fundamentalen Unterschied, ob ich gefragt werde: Möchtest Du einen Aperitif mit oder ohne Alkohol? Wir haben hier den Schaumwein xy oder die tolle alkoholfreie Alternative.
Foto: Simone Raihmann
Könnt ihr ein bisschen mehr zu „Wine Proxies“ erzählen? Was ist der Unterschied zu entalkoholiserten Weinen? Was sind eure Favoriten?
Wir unterscheiden bei uns im Laden zwischen Wine Proxies bzw. Weinalternativen und alkoholfreien, also entalkoholisierten Weinen. Bei Letzteren wird einem Wein, wie man ihn kennt, nach der Gärung der Alkohol entzogen, das geschieht meist mittels Vakuumdestillation. Der Prozess ist sehr spannend, aber für uns weniger relevant, wir lassen den Wein meist lieber Wein sein und suchen nach anderen Herangehensweisen. Wine Proxies oder Weinalternativen dagegen haben in der Regel mit Wein im herkömmlichen Sinne nichts zu tun, vielmehr sind es komplexe, erwachsene Getränke mit einem eigenständigen Geschmacksprofil, die zu trinken sind wie ein Glas Wein, ohne nach Wein schmecken zu wollen. Konkreter sprechen wir von Getränken, die oft eine oder mehrere Arten von Fermentation (Kombucha, kontrollierte Hefefermentationen, Kvass, Wasserkefir, Laktofermentation) nutzen, mitunter aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zutaten (von Früchten/Gemüsen, Tees und Infusionen aus Kräutern und Gewürzen bis hin zu Holz oder Walnussblättern, etc.) bestehen und – – für uns am spannendsten – – für sich selbst stehen. Ich würde sagen, eine gute Weinalternative möchte nichts anderes sein, als sie ist. Sie ist sich selbst genug.
Hier einige Empfehlungen von Jennie:
Von Wiesen – Eisenkraut & Quitte
Eine leichte und aromatische Alternative zu einem Glas Schaumwein. Frische von Eisenkraut, Duft und feinherbe Noten der Quitte und eine herrlich saline Note aus laktofermentiertem Sellerie.
Ambijus – Clearly Confused
Wir nennen den fermentierten Apfel mit Fichtennadeln, Wacholder und Holunder den norwegischen Waldspaziergang. Sehr ausdrucksstark und definitiv eine Klasse für sich, liebe ich zu gereiftem Bergkäse.
Gnista – Red (No Wine) French Style
Die Basis: Traube und Sauerkirsche, mit einer ausgeprägten Säure auch durch etwas Cranberry. Dazu begeistert mich die Kombination aus den floralen Noten des Lavendels und einer würzigen Schärfe von Habanero Chilis.
DIY Wine Proxy (:
Eine Empfehlung: ein sortenreiner Traubensaft (ich finde Dornfelder sehr passend, aber auch Silvaner funktioniert hier sehr gut) mit einem Schuss OSCO, einem französischen Bitteraperitif auf Verjus-Basis mit Enzian und intensiven Kräuternoten von Rosmarin und Salbei.