Foto: Ingo Pertramer
Über Christian Tschida wurde schon einiges geschrieben. Er wurde als „Grenzgänger“, „Enfant terrible“, „Rockstar“ und „Pionier“ bezeichnet. Das konzentriert sich jedoch mehr auf seine Rolle als Winzer in der Naturweinszene als auf die Person dahinter. Den privaten Christian Tschida kennen nur wenige Menschen – vielleicht ein Grund dafür, dass es so viele Mythen um ihn gibt. Eine mediale Romantisierung seiner Arbeit lehnt er strikt ab.
Die manische Akribie – man möchte es fast Wahnsinn nennen – mit der Christian seine Weingärten im Burgenland pflegt, ist seine endlose Lebensaufgabe. Um jedes Jahr noch besser sein zu können, ist viel Einsatz nötig – nichts davon hat mit legerem Posing auf einem Pferd oder Fotoshootings in Blumenwiesen zu tun. 20 Jahre reine Knochenarbeit sind es inzwischen. Tag für Tag, draußen und im Keller. Dazwischen den Launen der Natur ausgesetzt. Das Resultat sind Weine voller scheinbarer Widersprüche, die dennoch in sich stimmig sind. Unverkennbar und schon lange nicht mehr nur für die Naturwein-Ultras spannend.
Deswegen finden sich seine Weine nicht nur in vielen nationalen und internationalen Weinbars wieder, sondern auch in den Weinbegleitungen der besten Restaurants der Welt. Und die kennt er alle selbst ziemlich gut! Wer wäre also besser geeignet, um mit uns seine besten Lokaltipps aus aller Welt zu teilen – amüsante Anekdoten in seinen ungefilterten eigenen Worten inklusive, denn was viele nicht wissen: Man kann richtig viel Spaß haben, wenn man mit Christian unterwegs ist.
christiantschida.at
Also, Christian, welche Lokale müssen wir besuchen?
Der Ort: Japan, Tokio
Das Lokal: Tatemichiya
Ein Punkrock-Izakaya, besucht nach meinem letzten Noma-Tokio-Abenteuer, sehr versteckt und fast nicht zu finden. Der Koch trägt ein Aufgehende-Sonne-Stirnband und werkt schwitzend und headbangend hinter der Bar, ein schweres Beil in der Hand schwingend und eine Marlboro-Zigarette im rechten Mundwinkel nahezu kauend.
Sake bis zum Exzess und Spieße vom Grill in allen Variationen, von Hühnerhaut bis Aal und grünem Seetang. Unfassbar gut. Dazu Ramones und Sex Pistols in Konzertlautstärke und zu sechst auf drei Metern Höhe, auf einem zum Tisch umfunktionierten wackelnden Stockbett – so habe ich den wahnsinnigsten Abend in Japan verbracht.
instagram.com/tatemichiya___daikanyama
Der Ort: Frankreich, Paris
Das Lokal: Le Châteaubriand
In der Stadt der Liebe verspüre ich primär große Zuneigung für buttrige Saucen und vergorene Säfte.
Das Châteaubriand ist so ein Ort der Sünde: Die Kreationen fordern mich jedes Mal aufs Neue, besonders die Desserts haben es mir angetan. Beim Biss in ein fettes Entrecôte beame ich mich genüsslich in andere Sphären, plötzlich vernehme ich vertraute Stimmen hinter mir – höre ich da schon die Englein singen?
Im Runterschlucken drehe ich mich um und erkenne meinen lustigen Freund Ferdinand am Nachbartisch wieder. Die Freude ist groß, eine Flasche Alice Bouvots Octavin Poulsard in zehn Minuten leer, Nachschub bereits unterwegs. Hanne Grunewald, Herrscherin über den irren Weinkeller, hat Erbarmen und öffnet für uns um 2.30 Uhr die letzte Magnum: Der Chenin Blanc von Robinot gibt uns die letzte Ölung, das Châteaubriand ist also doch ein Ort der Barmherzigkeit.
instagram.com/chateaubriand_dauphin
Der Ort: Spanien, Barcelona
Das Lokal: Xemei
Die Colombo-Twins Max und Stefano sind geniale Gastgeber, wie es sie kaum ein zweites Mal gibt.
Sei es in ihrer legendären Bar Brutal oder in diesem Fall im Xemei.
Venezianische Küche gepaart mit der kulinarischen Intelligenz von crazy Max, der Tag und Nacht selbst in der Küche steht und für seine (mindestens ebenso speziellen) Gäste kocht.
Der vermeintliche Hauptgang, Pasta mit Sepia, war, wie sich herausstellte, nur ein Appetizer. Einer, der mich aber sehr entspannte, denn Kohlenhydrate haben eine sehr beruhigende Wirkung auf mich.
Und dann ging es erst richtig los: Max hatte ein ziemliches Großkaliber von Steinbutt, drapiert auf einer Silberplatte, aus der Küche getragen – ein Raunen ging durchs Lokal, die Musik wurde lauter, und der Bass begann zu pumpen.
Plötzlich waren viele nette Menschen aus Spaniens Kunst und Kultur da, DJs, Musiker, Models und ich – der Winzer aus dem Burgenland.
Dazu vier perfekt gereifte Jerobaums (drei Liter): El Bassotets von Joan Ramón Escoda, ich denke, ich habe wahrscheinlich die Hälfte von einer alleine getrunken … und dann erst das Fleisch, ja das Fleisch des Fisches war unglaublich köstlich und fest im Biss, besonders am Knochen. Die Stimmung im Lokal war am Kochen. Ich musste dann aber leider direkt zum Flieger und nach Hause – der Weingarten wartete. Den Flug nur knapp nicht verpasst, wurde ich vom Flugbegleiter gefragt, ob ich denn ein blasses Sandwich möchte, was ich, innerlich auflachend, dankend abgelehnt habe. Wenn der wüsste, wo ich gerade herkam …
instagram.com/xemeibcn
Der Ort: USA, New York
Das Lokal: Frenchette
Nach dem Theater einer Weinmesse sehne ich mich immer nach einem ruhigen Platz in einem gemütlichen Restaurant. Auf ins Frenchette, hier ist Jorge Riera einfühlsamer Gastgeber, Sommelière ist Émilie Campbell, und beide sind Freaks auf dem Gebiet Naturweine.
Im Frenchette auf einem der gemütlichen Sofas Platz zu nehmen, ist fast wie zu Hause auf der Couch ein paar Stunden herumzulümmeln.
Kulinarisch regiert der amerikanische Wahnsinn schlechthin: Austern Rockefeller Style, sprich fangfrische Gillardeau-Austern im Backrohr gratiniert und brutzelnd heiß am Tisch serviert.
Intensität und Geschmack waren am Anschlag und das fantastische Gericht war nur durch ein flüssiges Äquivalent zu begleiten – Cuvee Marguerite der legendären Domaine Matassa, besser gehts nicht.
instagram.com/frenchettenyc
Der Ort: Dänemark, Kopenhagen
Die Traum_Kombi: Noma, Pompette, Barabba, Fiskebar
Ein Kopenhagen-Trip ohne Noma-Besuch – für mich undenkbar. In diesem Fall aber unmöglich, denn das gesamte Team rund um René Redzepi und Head-Sommelière Mees List weilte gerade in Kyoto. Also ab zu Fiskebaren im Meatpacking District von Kopenhagen. Ich fühlte mich wie im Haus des Meeres, alles drehte sich um Fisch, um die feinsten Teile des Oktopus und um Muscheln, die vor drei Stunden noch im Meer waren. Der Fiskebaron Anders Selmer und sein kongenialer Sommelier Jan Hugel kredenzten ein zum Thema maßgeschneidertes Weinkonzept. Die ganze Karte besteht aus mineralischen und salzigen Kreszenzen. Zu Fish and Chips à la Fiskebar gab es eine Magnum Bildstöckle Riesling von Schüller im blinden Vergleich mit meinem Laissez-Faire-Riesling, beide passen wie die Faust aufs Aug!
Danach ging es ins Pompette – eine Weinbar mit einer schwindelerregenden Weinkarte, deren genussfreundliche Kalkulation zum totalen Hedonismus animiert. Ich wollte eine Flasche Wein aussuchen, als ich im rundumverglasten Weinkeller einen rothaarigen Mann tanzen sah, nackt. Und: Ich kannte ihn sogar, es war mein alter Kumpel Lasse.
Nach einer kurzen, innigen Begrüßung gab er mir eine Flasche Bruyère-Houillon-Chardonnay heraus, als ob es sein Keller wäre. Um das Gesehene und Geschehene zu verarbeiten, tranken wir den Chardonnay aus dem französischen Jura sehr langsam und mit Bedacht, obwohl er wirklich sehr trinkanimierend war.
Weil es noch nicht genug war, mussten wir noch ins Barabba. Spaghetti à la Puttanesca ist eines meiner Lieblingsgerichte und genau das, was ich als Mitternachtssnack brauchte. Die Puttanesca war köstlich – ich bekam dankenswerterweise noch eine zweite Portion, und der charismatische Patron des Hauses Riccardo Marcon gab mir dazu den passenden Wein: Zibibbo von Gabrio Bini. Der Wein war wie ein Energizer und ermöglichte uns noch ein paar gute Gespräche, bevor die Sonne endgültig aufging.
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Der Ort: Thailand, Bangkok
Die Tour: Gaggan
Abflug in Österreich –5 Grad, 10 Stunden später Landung in Bangkok +30 Grad, Sonnenschein, die Winterdepression war im Fluge verschwunden.
Abendessen in einer anderen Welt in Meister Gaggans Restaurant: 14 Sitzplätze an der Bar, atmosphärisch irgendwo zwischen Kino und Oper einzuordnen.
Es war dunkel, das Licht pointiert nur auf die Teller gerichtet, kamen plötzlich aus dem Nichts Feuer und Flammen – grinsend flambierte Gaggan mit einem Bunsenbrenner ein Stück Fisch, das Genie blitzte wie bei Jack Nicholson aus seinen Augen – jeder Bissen war magic und einfach nur wow.
Dazu gab es auch ordentliches Futter für die Ohren: Von Pink Floyds „The Wall“ bekam ich die volle Dröhnung, ich saß 20 cm neben dem Lautsprecher.
Spektakulär die Weine dazu, alle blind serviert, ich erkannte keinen einzigen. Die Texturen und Aromen der Gerichte waren neu und exotisch, sie ließen die Weine in einem völlig neuen Licht erscheinen. Als ob das Menü nach den Weinen entwickelt wurde und nicht wie Usus umgekehrt.
Mastermind hinter diesem Erlebnis ist Vladimir Kojic, leidenschaftlicher Sommelier und Provokateur in Personalunion. Am Ende deckte er auf: Sepp Muster – Sgaminegg, Franz Strohmeier – Sonne, Christian Tschida – Non Tradition. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
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Der Ort: Deutschland, München
Das Lokal: Waltz
Nach einer Verkostung neulich in München, auf der Suche nach einer Wein-Oase, fand ich Das Waltz: ein lässiges Gasthaus, geführt von den zwei lebenslustigen Sommeliers Stefan Grabler und Markus Hirschler, unterstützt von der ebenso weinvernarrten Charlotte Schwarz.
Die dunkle Rindsuppe hat meine Lebensgeister wieder geweckt, und spätestens beim Backhendl mit Kartoffelsalat habe ich mich wie auf einer burgenländischen Hochzeit gefühlt. Jetzt war meine Welt wieder in Ordnung.
Ich musste dann leider bis um 3 Uhr morgens bleiben, um die Überprüfung der Weinkarte komplett abzuschließen. Eines der Highlights war der Champagner von La Closerie, er war so schön trocken wie der Humor des Winzers namens Jérôme Prevost.
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