Gastronomie, Gesellschaft

Japans Esskultur Pt. 4

von Katharina Seiser

Land der aufgehenden Wonne: Was wir uns von der japanischen Ess- und Trinkkultur abschauen könnten – und was lieber nicht.


Illustration: Illustration: Katharina Anna Wieser/Bureau F

Spezialisierung

In Japan gibt es unzählige Lokalarten, die sich auf jeweils eine Speisenart oder gar nur ein Gericht spezialisiert haben: Ramen (und das auch noch in vielen verschiedenen Stilen), Soba (Buchweizennudeln), Udon (dicke Weizennudeln) oder Gyoza, um nur jene mit Teigwaren zu nennen. Yakitori (alles – wirklich alles – vom Hendl in Spießen vom Grill), Aal (zwei verschiedene Arten, es gibt natürlich Lokale für den einen und den anderen), Sushi (in verschiedenen Stilen, da reden wir noch nicht von Preisklassen, sondern von Reis- und Säuerungsart und -intensität, Größe, Schnitttechniken und typischen Sorten, wie z.B. mit in Kombu-Alge und in Essig gereifter Makrele), Tempura (in federleichtem Teig in einer meist geheimen Ölmischung frittierte Meeresfrüchte, Fisch und Gemüse), Teppanyaki (man sitzt direkt am Grill), Okonomiyaki (eine Art DIY-Omelett), Onigiri (die dreieckigen Reis-Sandwiches, das Pendant zu unserer Wurstsemmel), Tonkatsu (Schnitzel, aber in einer Elaboriertheit samt mindestens zweier Saucen und einem Berg hauchfein frisch gehobelten Krauts, die unser vermeintlich superiores Wiener leider ziemlich alt aussehen lässt), Shabu-Shabu und Sukiyaki (Fondue-Vibes, anyone?). Wir aßen ein Tofu-Menü in Kyoto, das keine Sekunde fad war, und eines mit Sardinen in Tokio, von dem ich mir seither wünsche, dass bei uns jemand so ein Lokal aufmacht.
Eine ähnliche Vielfalt an auf eine einzige Sache spezialisierten Lokalen und Manufakturen gibt es für Süßes und Snacks. Seien es Wagashi (Konfekt, oft aus Reismehl, immer zum Tee, z.B. Mochi, Anko aus Adzukibohnen und Dutzende andere), Kakigori (eher Granità als Eis), Matcha-Eis oder meist salzige Cracker aus Reismehl in unüberschaubar vielen und oft lokalen Sorten (Senbei).
Im alten Tokioter Stadtteil Yanaka habe ich z.B. 2015 eine Art Teehaus gefunden, das ausschließlich Maronireis anbietet. Es war auch diesmal wieder der Maronireis to rule them all. Sie verwenden dort eine spezielle japanische Kastaniensorte und rösten sie vor dem Teehaus täglich frisch. Die dafür nötigen Gerätschaften vor dem Eingang zeugen von stolzem Handwerk. Die frisch gerösteten Maroni werden püriert, ganz zart gesüßt, basta. Dann gibt es verschiedene Dessertvarianten daraus, pur mit Matcha oder Hojicha gewürzte Cremes, Eis, Sorbets, Baiser etc., im Zentrum steht der Maronireis in einer Herrlichkeit, es gibt nichts anderes, man geht nur dafür hin – und man erinnert sich ein Leben lang an den Geschmack. Man stelle sich eine Konditorei in Wien vor, die nur Sachertorte anbietet und dafür die Schokolade selbst vor Ort in einer gläsernen Manufaktur Bean-to-Bar produziert, die Marillenmarmelade selbst einkocht, die Butter von einem einzigen Hof bezieht und das Getreide selbst mahlt.
Die traditionell aufwendigste Küche gibt es in Kaiseki-Restaurants mit ihren extrem saisonalen Menüs aus oft Dutzenden winzigen Gängen in privaten Speisezimmern. Diese Restaurants, die sich in Kyoto aus der Teezeremonie entwickelt haben, waren die Inspiration für die großen Fine-Dining-Menüs im Westen und wirken auf Gastro-Profis aus aller Welt nach wie vor so anziehend und inspirierend, weil sie auf große Individualität bei beschämend perfektem Handwerk aus beinahe kultisch verehrten mikrosaisonalen und -lokalen Produkten – jedes Gericht fokussiert im Prinzip auf eine Zutat – setzen.
Eine jener noch älteren Küchentraditionen, die Kaiseki geprägt hat, ist Shojin Ryori, die buddhistische Tempelküche, meist rein pflanzlich und oft sehr aufwendig.
Und dann gibt es noch das Izakaya, eine Art Beisl, das kleine Speisen zum Bier oder Sake serviert, oft im Omakase-Stil, d.h. sehr individuell, die besseren vergleichbar am ehesten mit der neueren Generation an internationalen Weinbars, die richtige gute, aber lässige Küche zum Teilen anbieten.
Allen diesen japanischen Lokaltypen und auch auf einzelne Lebensmittel spezialisierten Geschäften (Single-Origin-Noriblätter! Fermentierte Gemüse in Dutzenden Sorten lose aus dem Fass! Aged Miso!) ist gemein, dass sie ihre Sache ernst nehmen und nach Exzellenz streben. Manchmal wirkt dass streng und verbissen. Da wünscht sich dann selbst eine wie ich, die auch gern das Lineal in der Küche anlegt, ein bisschen mehr Lässigkeit und Lebensfreude. Das ist aber vielleicht auch nur ein Minderwertigkeitskomplex und Kulturunverständnis, denn so eine Perfektion wie sie Japan in der Kulinarik pflegt, erreicht man halt nur mit sehr viel Fleiß und Hingabe.

Tipps Tokyo: Shiomachi (Izakaya/Fisch), Butagumi (Tonkatsu), Nakajima (Sardinen), Kyubey (Sushi), Toufuya Ukai (Tofu), Kanda Yabu Soba (Soba), Chachanoma (Sencha), Waguriya (Maronireis), Numata Nori (Nori-Algen), Akomeya (Reis)

Tipps Kyoto: Kikunoi Honten (Kaiseki), Tousuiro (Tofu); sehr viele Tipps stehen im 2023 erschienenen Magazin „Noma in Kyoto“

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