Gesellschaft

Die Königin der Knollen

von Hanna Stummer

Eine Liebeserklärung an die Kartoffel


Illustration: Midjourney, Andrej Rutar

Man könnte meinen, dass – zumindest in anglo-germanischen Sprachen – besonders gern über die korrekte Bezeichnung dieser fantastischen Knolle und ihrer Zubereitungsarten gestritten wird: Erdäpfel oder Kartoffel, Fries oder Chips, Crisps oder Chips, Potato oder Potahto.
Worüber sich wohl niemand streiten wird – ausgenommen Menschen mit eindeutigen Geschmacksverirrungen – ist darüber, dass die Kartoffel den Thron des Reichs der Nachtschattengewächse zu Recht bestiegen hat. Sie ist kostengünstig, ernährungsphysiologisch wertvoll, enorm vielseitig und hat so manche Kulturen durch harte Zeiten gebracht. 
Zunächst ein paar Potato-Facts: Die Kartoffel (lat. Solanum tuberosum) gehört zur Familie der Nachtschattengewächse und ist in manchen Gegenden auch als Erdapfel oder Erdbirne bekannt. Verwandt ist sie mit diesen Namensvettern nur entfernt, ebenso wenig mit der Süßkartoffel – die ist nämlich ein Windengewächs. Kartoffeln enthalten viele Kohlenhydrate, Eiweiß und Ballaststoffe, darüber hinaus essenzielle Fette und Vitamine, Vitamin C sogar mehr als Äpfel. Die Bezeichnung „Kartoffel“ kommt übrigens von der optischen Ähnlichkeit zur Trüffel. Die Italiener:innen nannten sie „tartufolo“, was zu „Tartuffel“ und schlussendlich „Kartoffel“ wurde.
Die Knolle wurde vor ca. 7.000 bis 10.000 Jahren in den südamerikanischen Anden kultiviert und war für den Aufstieg des Inka-Königreichs von großer Bedeutung. Nach Europa kam die Kartoffel mit den Spanier:innen im 16. Jahrhundert, erfreute sich dort zunächst aber nicht der größten Beliebtheit. Das hatte verschiedene Gründe: Nachtschattengewächse waren auf dieser Seite des Ozeans als giftig bekannt, tatsächlich enthalten die Blüten und Auswüchse der Kartoffel Solanin und dürfen nicht verzehrt werden. Darüber hinaus waren Menschen in Europa an Getreide und Brot als wichtige Kohlenhydratquelle gewöhnt und wussten mit der unansehnlichen Knolle zunächst nicht so recht etwas anzufangen. Und zu guter Letzt war die Kartoffel der Kirche ein Dorn im Auge und wurde mit Hexerei und dem Teufel in Verbindung gebracht.
Lange war sie also nicht als Nahrungsmittel, sondern wegen ihrer ansehnlichen Blüten nur als Zierpflanze in botanischen und Lustgärten des Adels anzutreffen, von dem diese oft als Haarschmuck genutzt wurden.
Dass die Kartoffel schlussendlich ihren Siegeszug antrat, war den vielen Kriegen zwischen europäischen Imperialmächten geschuldet, die ihre Heere zu versorgen hatten. Friedrich der Große von Preußen nahm die Knolle in die Verpflegung seiner Armee auf und verteilte sie in ganz Deutschland, zunächst zum Unmut der Bevölkerung, die sie als geschmacklos und hässlich ansah. Friedrich war auf die Idee der Verbreitung der Kartoffel jedoch so versessen und forcierte ihre Einführung als Nahrungsmittel derartig intensiv, dass es ihm den Namen „Kartoffelkönig“ einbrachte. Mit dem „Kartoffelbefehl“ von 1756 wurde erlassen, dass jeder in Preußen dort Kartoffeln anbauen müsse, wo es Platz dafür gebe. Andere Imperialmächte sahen die Erfolge und taten es den Preußen gleich. Kartoffeln besaßen eine höhere kalorische Dichte als Weizen, mehr Nährstoffe und waren weniger anfällig für Krankheiten – boten also einen Puffer gegen die regelmäßig auftretenden Hungersnöte und deren verheerende Auswirkungen auf den Kontinent. Nach und nach veränderte die unscheinbare Knolle so das Bild der europäischen Nahrungsmittelversorgung massiv. 


Illustration: Midjourney, Andrej Rutar

In Frankreich war ein Mann insbesondere verantwortlich für die Verbreitung der Kartoffel, der Pharmazeut Antoine Augustin Parmentier. Er widmete sich in seinen Forschungen dem Thema Lebensmittelchemie und war davon überzeugt, dass die Knolle am besten dazu geeignet war, die Bevölkerung gegen Hungersnöte zu wappnen.
Einer Legende zufolge wurden in Frankreich die Kartoffeläcker des Hofs bewacht, was dazu führte, dass die arme Bevölkerung zum Schluss kam, dass das überwachte Gut besonders wertvoll sein müsse – und die Knollen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entwendet wurden.
Durch Parmentiers Kartoffelaffinität kam die Knolle auch in die USA. Die Werke des Pharmazeuten über die Knolle waren in der Bibliothek des dritten Präsidenten Thomas Jefferson vorhanden – angeblich war es auch er, der in den Staaten als Erster frittierte Kartoffeln servierte, nachdem er sie in Frankreich gesehen hatte – die „french fry“ war geboren.
Kartoffeln waren demnach in Europa zumindest für eine Zeit massiv für die Erhöhung der Nahrungsmittelsicherheit verantwortlich. Zum ersten Mal war besonders die arme Bevölkerung gut genährt, und die Geburtenrate stieg an. Die Bevölkerung Europas betrug im Jahr 1750 140 Millionen, 1900 waren es 400. Diese stabilen Bevölkerungszahlen und der gestiegene gesundheitliche Status sind mitunter Gründe, warum die industrielle Revolution in dem Ausmaß voranschritt, wie sie es tat. 
Nicht überall jedoch verlief die Geschichte rosig. Die Züchtung von Kartoffeln basiert auf Monokulturen, und durch diese genetische Gleichheit breiten sich die wenigen Krankheiten, auf die sie anfällig sind, schnell aus. In Irland wurde die Knolle besonders schnell populär, sie kam dort bereits vor 1600 an und war für die spezielle Gegend besonders passend, da die ländlich verteilte Bevölkerung häufig mit Versorgungsproblemen zu kämpfen hatte. Auch hier gab es für Bäuer:innen Anbau-Vorschriften. Die in 1845 beginnende Kartoffelkrankheit zerstörte bis 1852 enorm viel der europäischen Ernte, Irland wurde davon besonders hart getroffen. Ein Großteil der restlichen Nahrungsmittelernte des Landes wurde exportiert, weswegen die arme Bevölkerung mit enormer Wucht von einer der tödlichsten Hungersnöte der Geschichte getroffen wurde. Mindestens eine Million Menschen starben, und weitere zwei Millionen flohen.
Heute wird die Kartoffel weltweit von gemäßigten Klimaregionen bis in die Subtropen angebaut und gilt als maßgeblich für die weltweite Lebensmittelversorgung, so sehr, dass die Vereinten Nationen ihr 2008 sogar ein ganzes Jahr widmeten. Neben ihrer Artenvielfalt (es existieren mehrere tausend Kartoffelsorten) sind auch die Zubereitungsarten mannigfaltig und kaum zählbar. Gekocht, gedünstet und gebraten – alles ist möglich, und ich fände es nicht verwunderlich, wenn in Zukunft noch neue Arten der Kartoffelzubereitung und des -verzehrs erfunden werden. Ich persönlich mag Kartoffeln so gern, dass ich ihnen ein (geheimes) Tattoo gewidmet habe. Ich würde behaupten, wenn ich mich ein Leben lang nur mehr von Kartoffeln ernähren könnte, würde ich das tun. Laut Google sind Pommes frites und Kartoffelgratin die beliebtesten Zubereitungsmethoden – allerdings bin ich nach langer Recherche und viel Kopfzerbrechen selbst beim besten Erdäpfelrezept der Welt angelangt – wie durch ein Wunder stammt es von meiner Mutter und hat eventuell ein bisschen mit Kindheitsnostalgie zu tun. Fantastisch ist es allemal, so wie seine Hauptzutat, die Königin Kartoffel.

Kartoffelpuffer

  • 1 kg Kartoffeln
  • ca. 4 EL Mehl
  • 1 Ei
  • 2-3 EL Sauerrahm
  • Salz
  • Öl zum Braten

Zubereitung:
Kartoffeln roh schälen, danach waschen, trocken tupfen und möglichst schnell fein reiben und ausdrücken.
Möglichst schnell mit den anderen Zutaten vermischen (sonst. werden die Bramburi braun!) Von dieser Masse kleine Häufchen (ca. 1 EL groß) in das heiße Öl geben, flach drücken und auf beiden Seiten hellbraun backen. Kartoffelpuffer möglichst sofort essen.
Dazu passt Sauerrahm als Dip oder Salat. Es passen aber auch Preiselbeeren oder Apfelmus.

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