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Eine trügerische Fassade?
„Von unseren regionalen Betrieben.” Ich kann es nicht mehr hören!
Der Begriff „Regionalität” hat sich zu einem fast schon mystischen Schlagwort entwickelt. Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Regionalität sagt rein gar nichts über die Anbaumethoden, die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter:innen oder die ökologischen Praktiken aus. Regionalität ist kein automatisches Gütesiegel. Ein Apfel, der lokal angebaut wurde, mag zwar weniger CO2 beim Transport verursachen, aber was, wenn er in einem Meer von Pestiziden schwimmt?
Was, wenn die Arbeitsbedingungen auf dem lokalen Hof schlimmer sind als in einem fairen Handelsbetrieb am anderen Ende der Welt? Die Annahme, dass „lokal“ automatisch „besser“ bedeutet, ist nicht nur naiv, sondern schlichtweg falsch.
Ob in Sternerestaurants, in traditionellen Gasthäusern oder im Supermarkt, überall wird die Nähe zu lokalen Produzent:innen als Inbegriff für Qualität und Nachhaltigkeit präsentiert. Doch während wir bei unserem Rindfleisch und Gemüse vehement auf Herkunft und Nachhaltigkeit achten, scheinen diese Prinzipien beispielsweise bei Weinen, wie durch ein Wunder zu verschwinden.
Ein edles Menü wird zum Liebesbrief an die Region, bis man den Blick auf die Getränkekarte wirft. Da wird dann Regionalität unkommentiert zur Nebensache. Französischer Wein, schottischer Whisky, italienischer Grappa – die Welt ist plötzlich grenzenlos, und das Prinzip der lokalen Verbundenheit wird kurzerhand über Bord geworfen. Diese selektive und allgemein totgeschwiegene Priorisierung von Regionalität nervt. Warum wird der lokale Weinbau stiefmütterlich behandelt, während gleichzeitig der örtliche Gemüsehof in den Himmel gelobt wird?
Oder nehmen wir das Beispiel eines Wiener Lokals, das stolz Kartoffeln aus Oberösterreich als regional betitelt. Sind diese wirklich „regionaler“ als Kartoffeln aus dem benachbarten Ungarn? Die willkürliche Festlegung von Regionalität entlang nationaler Grenzen ist nicht nur geografisch absurd, sondern offenbart auch eine bedenkliche Engstirnigkeit. Wir könnten uns endlich von engen, nationalistischen Definitionen lösen und erkennen, dass Qualität und Nachhaltigkeit keine Frage der Geografie sind.
Persönlich finde ich es nicht verwerflich, hochwertige (in dem Fall meine ich damit tatsächlich nachhaltig oder sozial verträglich hergestellte) Produkte aus aller Welt anzubieten – dort wo es auch Sinn macht oder nicht anders möglich ist.
Klar, wenn es Produkte und Zutaten sind, die es bei uns in entsprechender Qualität gibt, wählt man hoffentlich den geografisch näheren Betrieb und spart der Umwelt eine zusätzliche Belastung durch einen langen Lieferweg. Aber sich beispielsweise saisonal ab und an für ein Menü Zitrusfrüchte aus einem Bio-Betrieb aus Kroatien schicken zu lassen, sehe ich recht unproblematisch (nicht nur wegen meinem pro-radikalen Zitrus-Bias. #iykyk). Oder wie wärs denn mal mit einem Supermarkt, der Produkte aus Übersee nur dann listet, wenn sie nachhaltig und/oder fair hergestellt wurden? Nach dem Motto: wenns von weit her kommt, dann muss es zumindest nachhaltig produziert sein. Just an idea. Weil die pestizid-überlasteten Äpfel braucht man nicht herkarren, die gibts auch regional…Apropos schicken lassen … dazu fallen mir dann auch gleich diverse Onlineshops von Fine Dining Restaurants, wie Noma und Co. ein. „We source some ingredients from local, ethical, and organic farmers and forage others…” Ok, aber was sagt das denn wirklich aus? Kein Produkt aus diesem Onlineshop hat eine offizielle Zertifizierung. Sollte nicht gerade ein Betrieb, der bei seiner eigenen Gastro Akademie (MAD Academy) einen Lehrgang zu „Environment & Sustainability“ anbietet, hier mehr als nur schön formulierte Worte liefern? Besonders wenn die Produkte (und der passende Merch) auch noch in die ganze Welt verschickt werden. Regional alleine ist schlicht zu wenig nachhaltige Innovationsbereitschaft für Betriebe, die als Leuchttürme gesehen werden (möchten).
Kurz gesagt, wir als Konsument:innen sollten uns von der trügerischen Sicherheit der Regionalität befreien und stattdessen langsam mal einen ehrlichen, umfassenderen Ansatz für Qualität und Nachhaltigkeit verfolgen. Es geht überhaupt nicht darum, das Lokale zu verteufeln, sondern darum, die Realität zu akzeptieren, dass wahre Qualität und Nachhaltigkeit weniger eine Frage des „Woher“, sondern eher des „Wie“ sind.