Wo nicht Garagen, sondern leer stehende Kuhställe als Labor für die Entwicklung hochwertiger Lebensmittel genutzt werden. Pionier:innen des Post-Milk-Zeitalters im Porträt.
Bild: Hadahof
Wird weniger Milch getrunken, braucht es weniger Kühe. Das ist seit Jahren der Fall. 2021 lag der Pro-Kopf-Konsum von Milch in Österreich bei rund 70,1 Kilogramm. 2006 waren es noch 80 Kilogramm. Eine Umkehr dieser Entwicklung ist unwahrscheinlich. Viele Bäuerinnen und Bauern, die bis vor kurzem noch vom Verkauf der Milch ihrer Kühe lebten, müssen sich also etwas Neues einfallen lassen. Den Stall einfach leer stehen zu lassen und auf den Weiden und Äckern statt Futtergetreide einfach Kichererbsen, Soja oder Erdäpfel anzubauen, klingt fürs erste logisch, ist aber nicht wirklich eine Option. Denn mit dem Verkauf von Getreide, Gemüse und Kräutern lässt sich meist weit weniger verdienen als mit Milch oder Fleisch. Außer es gelingt, das am Feld Gewachsene selbst zu einer Delikatesse zu veredeln …
Die Milchkuh vergeht, Hektar besteht
Gregor Mittermayr hat am Josephinum in Wieselburg studiert und dabei gelernt, wie sich mit Milchwirtschaft Geld verdienen ließe. Als er 2015 den im Mühlviertel gelegenen Bauernhof seiner Eltern übernahm, war für den heute 37-Jährigen deshalb klar, dass er sich das nicht antun möchte. Schon vor zehn Jahren, noch zu Studienzeiten, hatte er begonnen, nach Alternativen zu suchen, zu experimentieren. Damals reizte es ihn, auszuprobieren, ob sich aus dem von seinem Vater erstmals angebauten Soja auch selbst etwas Schmackhaftes zubereiten ließ. „Da bin ich mit einem Google-Rezept und dem Pürierstab in der Küche gestanden und hab das halt probiert“, erinnert er sich. Das Endergebnis, Mittermayrs erstes Tofu, überzeugte die Familie und den Freundeskreis. Heute, acht Jahre, nachdem er als Jungbauer die letzten Kühe verkaufte und in den alten Milchwirtschaftsräumen eine „Sojarei“ zur Tofuproduktion eingerichtet hat, ist sein „Mühlviertler Bohnenkas im Saftl“ die Haupteinnahmequelle des Ackerlhofs. Er ist über Buchenholz geräuchert und pur erhältlich, zum Beispiel in Wien im veganen Supermarkt Maran Vegan. 2019 wurde er als „Bio-Produkt des Jahres“ ausgezeichnet. Und der „Bohnenkas“ ist, wie Gregor Mittermayr vorrechnet, in mehrerlei Hinsicht effizienter als die Rinderhaltung: „Von einem Hektar Soja ernten wir 2,5 Tonnen – damit haben wir davor eine Kuh gefüttert, jetzt machen wir daraus 3,4 Tonnen Tofu. Wir hatten früher viel mehr Arbeit, jetzt haben wir viel mehr Eiweißoutput und deutlich mehr Ertrag.“
Foto: Sakher Almonem
Kräutercola aus dem Kuhstall
Auch die gelernte Sozialarbeiterin Diana Umgeher produziert in einem umgebauten Kuhstall. Dass sie einmal Biobäuerin wird und Getränkeproduzentin, war in ihrer Lebensplanung nicht vorgesehen. Dann überschrieben ihr ihre Eltern 2015 plötzlich den Hof und gingen in Pension. Einfach nur verpachten wollte sie die Felder und Wiesen aber ebenso wenig wie weitermachen wie ihre Eltern. „Ich bin selbst auf einem Bilderbuchbauernhof aufgewachsen, ein paar Schweine, zwei Milchkühe und zwei Maststiere, Hühner, Hasen“, sagt sie, durchaus ein wenig wehmütig. Doch diese Zeiten sind vorbei. Dann gab eines Abends das Fernsehprogramm den entscheidenden Impuls: „Ich sah mir eine Start-up-Show an und plötzlich war da die Idee, die Sirupe, die ich privat für mich und meine Familie machte, und meinen Lavendelsirup, der auch um Freundeskreis sehr beliebt war, in die Direktvermarktung zu bringen.“ Mittlerweile umfasst ihre dafür geschaffene Marke „Echt vom Land“ eine ganze Reihe von Sirupen und Getränken; darunter ein koffeinfreies Bergcola auf Basis der Eberraute – auch „Colakraut“ genannt –, Craft Cider und eine eigene Tonic-Linie, die ihr feines Bitteraroma einem Auszug der Enzianwurzel verdankt. Ausgewählte Gewürze kauft Diana Umgeher beim Waldviertler Biohändler Sonnentor zu. Der größte Teil der Kräuter für ihre Kreationen wächst aber im eigenen Garten und auf einer Bergwiese. Zum Leben reichen überschaubare zwei Hektar. „Man glaubt gar nicht, was Kräuter als veredeltes Produkt hergeben“, sagt Umgeher. „Wir produzieren von dieser Fläche 15.000 Liter Sirup und 20.000 Liter kohlensäurehaltige Getränke.“ Ein kleiner Teil ist auch für Feldversuche gedacht. Zuletzt hat sie etwa Pflanzen des Gelben Enzians bei einer Gärtnerei in Deutschland gekauft. Eigentlich wächst Enzian auch in Höhenlagen. „Schauen wir ma, ob er bei uns in Melk auf 350 Metern Seehöhe nicht doch auch gedeiht.“ Investitionen in landwirtschaftliche Maschinen waren für ihre Kräutergärtnerei keine nötig. Alles wird per Hand gemacht. Nur wo früher Kühe gemolken wurden, steht heute eine moderne Abfüllanlage. Damit kann unter Druck mit Kohlensäure abgefüllt und pasteurisiert werden. „Das Abfüllen ist für kleine Betriebe technisch durchaus herausfordernd“, sagt sie.
Veganer Honigersatz auch ohne Holzwurm
Außer den Fundamenten ist nichts beim Alten geblieben, seit Harald Frühberger und Daniela Bogenreiter den elterlichen Hof im Mostviertel übernommen haben. Zuerst wurde 2018 die letzten Mastochsen verkauft. Dann begann der Umbau. Und anders als ursprünglich geplant, entschieden sie sich während der Renovierung, auch den alten Heuboden zu schleifen. „Da war der Holzwurm drin“, sagt Frühberger, „das wäre leider sinnlos gewesen, den zu behalten“. Heute erfüllt der Hadahof – Ha für Harald, Da für Daniela – alle Ö-Norm-Standards eines Niedrigenergiehauses. Und die Website des ehemaligen Milchwirtschaftsbetriebs verspricht: „Alle Produkte am Hof sind vegan“.
Spezialisiert hat sich das Paar auf ein Frischeprodukt: Edelpilze. Produziert werden die Austernseitlinge direkt am Hof, wobei sie sich die Hanglage geschickt zum Vorteil machen: Die Fruchtungsräume ihrer Schwammerlzucht sind in den Hang gebaut. Das spart Fläche, vor allem aber Energie, weil sie damit immer frostfrei sind. „Unsere Hauptsaison ist nämlich die kalte Jahreszeit“, erklärt der ehemalige Tour- und Rockmusiker, „denn es ist einfacher zu heizen als zu kühlen.“ Kühlen ist besonders energieintensiv. Im Juli und den August ist am Hadahof deshalb Sommerpause.
Das Versprechen „Alle Produkte am Hof sind vegan“ umfasst aber nicht nur die Pilze, sondern auch die drei Hektar Streuobstwiesen rund um den Hof. Von diesen stammt das Obst für den im Hofladen verkauften Apfelsaft, den Zwetschken- und Birnenschnaps. Und auf diesen blüht jetzt im Frühjahr der Löwenzahn, den das Paar zu einem picksüßen Löwenzahnsirup verarbeitet, einer pflanzlichen Honigalternative.
ackerlhof.bio (Mühlviertler Bohnenkas)
echtvomland.at (Echt vom Land Lavendelsirup und Bergcola)
hadahof.at (Austernseitlinge, Saft, Schnaps und Löwenzahnsirup)