Kolumnen

Wem gehört mein Schnitzel?

von Nina Mohimi

Morgens eine Tasse Kaffee, mittags ein Liptauerbrot und abends ein Schnitzel.

Generiert mit Midjourney

Was wäre, wenn ich euch jetzt sage, dass ihr alle diese Dinge nicht mehr zubereiten oder konsumieren dürft, weil es sich dabei um kulturelle Aneignung im weitesten Sinne handeln kann? Denn alle genannten Zubereitungen sind aus anderen Kulturkreisen übernommen: Kaffee stammt ursprünglich aus dem Osten Afrikas, Liptauer aus der gleichnamigen Region in der Slowakei und die Ursprünge des Schnitzels sucht man ebenfalls vergeblich innerhalb unserer Grenzen – kulinarische Aneignung also?
Wer diesen Begriff noch nicht kennt, es handelt sich dabei um einen Vorwurf an die Mehrheitsbevölkerung, wenn sie sich an Errungenschaften von marginalisierten Gruppen bereichert. Kurz gesagt, man schaut sich etwas von Minderheiten ab, übernimmt es und profitiert davon. Was in der Mode oder der Werbebranche schon länger scharf diskutiert wird, ist auch bei der Esskultur angekommen. Wir reden bei kultureller Aneignung in der Kulinarik von so Fehltritten, wie einen Eintopf oder ein Fladenbrot nicht mit dem Originalnamen zu benennen – Sie können gerne „Alison Roman + the Stew“ oder „Christina Tosi + Flaky Bread“ googlen, wenn Sie das nicht glauben können.


Foto: Nina Mohimi

In einem heimischen Zeitungsartikel hat einmal eine Redakteurin hinterfragt, ob es denn in Ordnung sei, wenn zwei (weiße) Deutsche ein Ramenlokal aufmachen. Denn schließlich sei das ja nicht Teil deren Kultur. Abgesehen davon, dass in der heutigen Zeit aufgrund einer Landeszugehörigkeit auf den kulturellen Hintergrund zu schließen bestenfalls als mutig bezeichnet werden kann, ist es überhaupt relevant? Schauen wir uns mal ein paar gängige Kritikpunkte zu kultureller Aneignung im kulinarischen Kontext an:
– Rezepte aus (vermeintlich) anderen Kulturkreisen werden von (weißen) Personen übernommen, ohne Hinweis auf deren regionale Herkunft oder kulturelle Bedeutung. 
– Gerichte die als zu exotisch gelten, werden durch z. B. neue „westliche“ Namen und veränderte Gewürzmischungen für die heimische Mehrheitsgesellschaft abgewandelt. 
Auf den ersten Blick kann man für alle Argumente Verständnis entwickeln. Immerhin haben wir doch alle mindestens ein Gericht, das bitte „genau so und nicht anders“ serviert werden soll. Bei näherer Betrachtung muss man sich aber dann fragen – was ist denn DIE Originalrezeptur von einem Gericht und welche Region, welches Land oder welche Person kann und darf diese für sich beanspruchen? Auch „unser“ Schnitzel kommt ja eigentlich gar nicht aus Wien. Und wen kümmert das überhaupt heute noch? Alle Welt nennt irgendein paniertes Fleisch „Wiener Schnitzel“ und freut sich daran. Dann wird halt auch mal aus einem Chana Masala ein Curry-Eintopf mit Kichererbsen, damit sich möglichst alle Menschen darunter etwas vorstellen können. Ich persönlich erkläre meinen Gästen daheim persische Gerichte auch nie mit dem Namen, sondern anhand der Zutaten. Beschreibende Namen helfen nämlich nicht nur der gern zitierten Mehrheitsgesellschaft, sondern auch Personen aus ganz anderen Kulturkreisen. Möglicherweise erreicht man damit in Summe mehr Menschen, die eine Freude daran bekommen, andere ähnliche Lokale zu entdecken oder auch mal ein Gericht für sich selbst anzupassen. Esskultur ist nämlich schon immer Veränderungen unterworfen. Durch Migration, fehlende Zutaten in einer Region, die im Rezept durch andere ersetzt werden oder auch innerfamiliäre Präferenzen. Davon lebt und profitiert die kulinarische Vielfalt in allen Ländern und Regionen. Weder Pizza, Burger, Eis, Pasta, Ramen noch Teigtaschen aus allen Ecken der Welt wollen wir missen müssen. Und das unwichtigste dabei ist hoffentlich aus welchem Land die Person stammt, die das Restaurant führt. Oder fangen wir jetzt dann auch an, eine türkische Familie mit ihrer Pizzeria zu hinterfragen? Wo endet dieser Gedankengang? Was ist mit Menschen, die ihr ganzes Leben in einem anderen Land verbracht haben, ab wann ist es denn für die in Ordnung, ein Kochbuch zu veröffentlichen?

Foto: Nina Mohimi

Wir haben uns hoffentlich weiterentwickelt, und sehen die Herkunft eines Menschen nicht mehr als Berechtigung für dessen Beruf oder Expertise. Wie bei ganz vielen Themen, die uns (besonders im Social Web) begegnen, gibt es die wirklich wichtigen, die relevante Veränderungen anregen und die, die uns als lärmende Geräusche davon ablenken .Der kritische Vorwurf von kultureller Aneignung im Bereich der Esskultur ist Lärm, der richtig nervt. Es gibt wenige Dinge, die Menschen so sehr vereinen können, wie gemeinsames Essen und Trinken. Essen kann eine fremde Kultur in die eigenen vier Wände bringen und selbst notorisch fremdelnde Personen neugierig machen. Wollen wir das wirklich einschränken?

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