Manchen mag dieser gut gemeinte Ratschlag aus dem Kindesalter noch in den Ohren klingen – teilweise aus dem (damals furchteinflößenden, aber in Wahrheit doch eher märchenhaften) Grund, dass einem dann ein Kirschbaum im Bauch wachsen könnte, teils aber auch wegen der angeblichen Giftigkeit der Kerne.
Was ist ein Kern?
Zwei der bekannten Obstarten sind Kern- und Steinobst. Ersteres hat im Inneren der Frucht ein Kerngehäuse mit mehreren Kammern, in denen sich die Samen befinden. Seine klassischen Vertreter sind Äpfel und Birnen, aber auch Hagebutten und Quitten gehören dazu. Steinobst hingegen hat nur einen Samen – den Kern – um den die Frucht herum wächst. Dazu zählen beispielsweise Pfirsiche, Kirschen und Marillen. Speziell zu erwähnen sind hier auch die Sammelsteinfrüchte – etwa Himbeeren und Brombeeren – welche jeweils aus vielen kleinen Steinfrüchten bestehen.
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Kernweh
Der Mythos, dass Obstkerne giftig sind, hält sich recht hartnäckig. Die Wahrheit ist – es kommt darauf an. Viele von ihnen, etwa Weintrauben-, Papaya- oder Wassermelonenkerne, werden sogar empfohlen mitzuessen, da sie wertvolle Flavonoide und Ballaststoffe liefern.
Wenn von giftigen Stoffen in Kernen gesprochen wird, ist meistens von Amygdalin die Rede. Dieses cyanogene Glycosid kann im Körper zu giftiger Blausäure umgewandelt werden. Amygdalin kommt etwa in Apfelkernen vor, dort aber in so geringer Menge, dass ein erwachsener Mensch rund 150 Kerne zerbeißen und schlucken müsste, um eine kritische Dosis zu erreichen, informiert der Blog Hungry for Science.
Problematisch wird es bei stärker amygdalinhaltigen Kernen wie jenen von bitteren Mandeln und Marillen. Laut dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) kann bereits der Verzehr von wenigen Stücken zu Vergiftungserscheinungen wie Krämpfen, Erbrechen und Atemnot führen – hohe Dosen können tödlich sein. Bittermandeln, bittere Marillenkerne und amygdalinhaltige Präparate werden besonders online häufig als Heilmittel, etwa gegen Krebs, vertrieben. Solche Wirkungen sind wissenschaftlich nicht nachgewiesen, unwirksam und verhindern im schlimmsten Fall wirksame Therapien. Das BfR empfiehlt in einer Stellungnahme maximal ein bis zwei bittere Aprikosenkerne pro Tag zu verzehren oder völlig darauf zu verzichten.
Produkte aus Obstkernen
Produkte aus Obstkernen existieren schon seit tausenden Jahren – in erster Linie wurden und werden daraus Öle extrahiert. In Österreich hat steirisches Kürbiskernöl Kultcharakter, Traubenkernöl wird gesundheitliche und schönheitsfördernde Wirkung zugesprochen und auch Olivenöl wird aus Frucht samt Kern gepresst. Kreative Produzent:innen wagen sich inzwischen auch an die Extraktion von Ölen aus unüblicheren Kernen und Samen, etwa Tomaten-, Chili oder sogar Himbeerkernen und loben ihre besonderen Geschmäcker und vielfältigen kulinarischen Einsatzbereiche. Aber auch Produkte wie Zwetschken- oder Marillenkernöle finden sich online, teilweise mit Zusatzinformationen wie: „Wichtig: Zwetschkenkernöl enthält keine Blausäure“. Anzumerken ist nämlich: Es gibt sowohl bestimmte Sorten, die weniger Amygdalin enthalten sowie technische Möglichkeiten, den Stoff aus den finalen Erzeugnissen zu entfernen.
Manche Produzent:innen gehen nun einen Schritt weiter und verwerten die Fruchtkerne zu einer ganzen Reihe an neuen Produkten. Dafür werden Kerne etwa gebrannt, dragiert, schokoliert oder zu Likör verarbeitet. In den letzten Jahren finden sich außerdem immer mehr Kernprodukte auf den Supermarktregalen, die sich aus süßen Gefilden begeben und eine andere Route einschlagen – dazu gehört etwa die Marke Wunderkern.
Ein großer Fokus im Branding liegt auf dem Nachhaltigkeitsaspekt und der Kommunikation, dass Obstkerne sonst im Müll gelandet wären. In einer Berechnung aus einem Bericht zur „Realsierung der kaskadischen Nutzung von Steinobst-Restmassen“ aus 2004 zufolge fielen knapp 800.000 Tonnen an Kernen aus Steinobst in Europa an, wobei unklar ist, inwiefern diese weitergenutzt oder verarbeitet wurden oder aktuell werden. Anfallende Kerne, etwa aus der Saft- und Marmeladeproduktion, als Rohstoff wieder in den Kreislauf rückzuführen, eröffnet Marken wie Wunderkern zufolge jedoch erhebliches, bisher vernachlässigtes Potenzial.
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Hinter Wunderkern steckt das niederösterreichische Unternehmen Kern Tec, ein Hersteller und B2B-Lieferant von Samen, Ölen und Schalengranulaten für die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie – das einzige Unternehmen dieser Art in Österreich. Kern Tec verarbeitet in seiner Produktionsstätte in Herzogenburg Marillen-, Kirsch- und Zwetschkenkerne und beliefert damit auch internationale Partner, die mit den Rohstoffen Kern-Produkte wie Drinks und Joghurts produzieren. Dazu gehören etwa die deutsche Molkerei Brauer mit ihrer Marke „Zum Glück“ oder der Schweizer Supermarkt-Riese Coop mit der Marke „Karma“, weitere Unternehmen befinden sich in der Entwicklungsphase ihrer eigenen Produkte aus Obstkernen.
Auch für die eigene Marke wird laufend an neuen Rezepturen gearbeitet: „Unser Ziel ist es Upcycling-Kerne als ‚Standard‘-Zutat für eine Vielzahl an pflanzenbasierten Lebensmitteln zu etablieren”, erklärt Sales Manager Martina Giczy.
Damit das gefürchtete Amygdalin nicht in seinen Produkten vorkommt, entwickelte Kern Tec übrigens eine eigene Technologie, bei welcher der verholzte Teil des Steinobstes vom inneren Samen getrennt wird und eine Methode, mittels derer das enthaltene Amygdalin sicher aus dem Kern entfernt wird. Somit ist der Kerninhalt problemlos konsumierbar.
Die Entwicklungen sind vielversprechend und bei weitem nicht abgeschlossen. Ob Kernprodukte in Zukunft eine größere Rolle in unserer Ernährung spielen werden, wird sich weisen. Fakt ist jedeoch, dass mit Innovationen wie diesen Rohstoffe, die bisher als Abfallprodukt galten, zu einer wichtigen Ressource werden. So können neue Absatzmöglichkeiten entstehen, Müll vermieden und ein wesentlicher Beitrag zur Kreislaufwirtschaft in der Lebensmittelindustrie geleistet werden.