RECAP: Achtung, Karpfen!
Das gesunde Fett und 900 Jahre Teichwirtschaft im Waldviertel
Seit dem Mittelalter prägt die Teichwirtschaft das nördliche Niederösterreich. Vor etwa 900 Jahren begann dort bereits der Ausbau von Teichen. Teilweise von Teichwächtern bewacht, entwickelte sich dabei der Karpfen zum idealen Fisch. Robust, günstig und ideal an das stagnierende Süßwasser der künstlich angelegten Teichsysteme angepasst. Noch heute zeugen hunderte Teiche im Waldviertel von dieser jahrhundertealten Kulturform, die nicht nur ökologisch für das gesamte Ökosystem wertvoll ist, sondern auch landschaftsprägend wirkt.
Am vergangenen Montag rückte der Koch.Campus diesen historischen Schatz ins Rampenlicht.




Fotos: ©Koch.Campus/Anna Stöcher, Mara Hohla, Matthias Balgavy
Rund um den Josefsthaler Teich, nahe dem von Amelie und Franziskus Seilern-Aspang geführten Schloss Litschau, wurde ein aufwändiges Programm geboten, das sich der kulinarischen und ökologischen Bedeutung des Karpfens widmete. Fachvorträge, Koch-Stationen und Weinbegleitung formten einen vollen Tag mit einem oft unterschätzten Fisch.
Stationen rund um den Teich: Unterhaltsam und abwechslungsreich
Vier Stationen vermittelten konkrete Inhalte zur modernen Karpfenverarbeitung, Zusammenhänge und kulinarische Höhepunkte. Jede Station wurde von Wissensvermittlung, einem Koch und einer Winzer:in aus der Vereinigung RespektBIODYN begleitet.
Spannende Vorträge vermittelten die vergleichsweise lange Aufzucht von vier Jahren und die Bewirtschaftung eines Teichs, ähnlich einer Alm samt Kühen. Die Karpfen werden jährlich aus dem Wasser gehoben, in unterschiedlichen Gewässern eingesetzt und mit viel Platz und sauberem Wasser in ihren großen Biotopen beim Heranwachsen beobachtet. Ein großer Anteil der Zucht wird letztendlich als Besatzfisch in Flüssen, Seen und anderen Gewässern ausgesetzt um den natürlichen Fischbestand zu sichern. Der Karpfen würde ohne dieser Maßnahme in natürlichen Gewässern nicht mehr vorkommen.
Die teilnehmenden Köche Lukas Nagl (Bootshaus, Traunkirchen), Andreas Herbst (dahoam, Riederalm), Klemens Gold (RAU, nature-based cuisine) und Hubert Wallner (Restaurant Hubert Wallner) standen für einen neuen Zugang zur Fischküche: reduziert, technisch versiert, produktzentriert und zugleich weltoffen. Sie zeigten in ihren Gerichten, wie der Karpfen sich fernab von altbackenen Panier- und Brateritualen behaupten kann – als Delikatesse, als Hauptdarsteller, als spannender Gegenstand kreativer Auseinandersetzung – Zwischen Karpfen-Bosna und Sashimi.
Fotos: ©Koch.Campus/Anna Stöcher
Der Mythos vom „fetten Karpfen“
Ein wiederkehrendes Argument gegen den Karpfen als Speisefisch ist sein vermeintlich hoher Fettanteil. Dieser Vorbehalt wurde auf dem Koch.Campus nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch entkräftet. Es wurden Fettmessungen an verschiedenen Filetstücken vorgenommen, die belegten: Der Fettgehalt liegt bei Karpfenfilets im Schnitt bei rund 6–7 Prozent – vergleichbar mit magerem Lachs oder Hähnchen mit Haut. Entscheidend ist die artgerechte Haltung, die Fütterung und die Verarbeitung. Karpfen aus extensiver Teichwirtschaft sind nicht nur fettarm, sondern enthalten ein hochwertiges Omega-3-Fettsäuren-Profil.
Schröpfen: Handwerkliches Geschick gegen lästige Gräten
Ein weiterer Aspekt, der oft gegen den Karpfen ins Feld geführt wird, sind seine großen Gräten. Die Technik des Schröpfens, bei der das Fischfilet in feine Streifen eingeschnitten wird, zerkleinert die Y-Gräten so fein, dass sie beim Garen weich werden. Diese handwerkliche Methode wurde vorgeführt und in den Gerichten der Köche umgesetzt. So konnten die Teilnehmer:innen hautnah erleben, wie durch Schröpfen ein neues kulinarisches Texturerlebnis entsteht, das sowohl sensorisch als auch technisch beeindruckt.
Foto: ©Koch.Campus/Anna Stöcher
Karpfenzucht als klimaschonende Alternative
Die extensive Teichwirtschaft punktet nicht nur mit Tradition, sondern auch mit zeitgemäßen Argumenten: Nachhaltigkeit, Regionalität, kurze Transportwege. Während konventionelle Aquakultur vielfach auf importiertes Fischmehl als Futter angewiesen ist (etwa Forelle oder Saibling) wird der Karpfen im Waldviertel mit Getreide aus der Region gefüttert. Als Allesfresser ist er weder auf tierische Eiweiße noch auf marines Fischmehl angewiesen. Dadurch reduziert sich sein ökologischer Fußabdruck erheblich. Die Teiche selbst fungieren zusätzlich als Biotope, Trinkwasserspeicher und CO2-Senken.
Fischkonsum in Österreich: lokale Potenziale immer noch ungenutzt
Laut Statistik Austria liegt der Pro-Kopf-Fischkonsum in Österreich bei etwa 7,5 Kilogramm pro Jahr. Davon stammen weniger als 10 Prozent aus heimischer Produktion. Der Großteil entfällt auf Meeresfisch wie Lachs, Thunfisch oder Kabeljau – vielfach importiert aus problematischen Fangmethoden oder intensiven Aquakulturen. Der Karpfen hingegen wird hierzulande produziert, klimafreundlich gezüchtet und regional verarbeitet – doch auf dem Markt bleibt er ein Randprodukt. Der Koch.Campus setzt genau hier an: mit Aufklärung, Innovation und praktischer Anwendung.
Über den Koch.Campus:
Koch.Campus Österreich
Interessensvereinigung mit über 70 Mitgliedern
Intention des vor 11 Jahren von führenden Köchen gegründeten Koch.Campus ist einerseits der Wissens- und Erfahrungsaustausch bei Fachvorträgen, Workshops, Verkostungen und Diskussionen, andererseits die gemeinsame Erforschung und Entwicklung von regionalen Grundprodukten. Dabei wird deren Qualitätspotential auf Basis von unterschiedlichen Arten und Rassen, Kultivierungs- und Aufzuchtvarianten, Alters- und Reifestufen sowie Zubereitungsmethoden evaluiert.
Ziel ist es, die österreichische Küche zeitgemäß zu interpretieren und international anspruchsvoll zu positionieren.
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