Gastronomie, Produktion, Zukunft

Kryptochef

von Jakob Bretterbauer


Illustration: Katharina Anna Wieser

Bitcoin, Krebse, Garum: Eine Geschichte über die unerwartete Macht der Umwandlung

Es ist ja nun mal so. Die Beweggründe von Satoshi Nakamoto, der unter diesem Pseudonym als Begründer des Bitcoin gilt, mögen vielleicht im Ansatz hold und edel gewesen sein: ein dezentrales Geldsystem. Die Demokratisierung des Bankwesens. Ohne Notenbanken. Ohne staatliche Regulierungen. Die Realität war dann aber doch etwas ernüchternder …
Ein unreguliertes, offenes System. Das große, weite Internet. Und nicht jede:r, der oder die sich da drin aufhält, ist die nette Nachbarin deiner Oma. Viele sind gar ein Prinz oder eine Prinzessin aus einem fernen Land, die brauchen dein Konto auch nur ganz kurz, um Geld drauf zu parken. Alles easy, kein Problem, mach dir keine Sorgen. 


Neben diesen offensichtlichen Nebenerscheinungen sind es aber vor allem der massive Energieverbrauch und die damit verbundenen Emissionen, die Bitcoin benötigt, welche einem die Sorgenfalten in die Stirn schnitzen. Je nachdem, welcher Studie man trauen will, benötigt Bitcoin Unmengen Terawatt an Strom,1 und jede Transaktion verbraucht zwischen 400 Kilogramm und einer Tonne CO2: in etwa so viel wie ein Flug von Berlin nach Barcelona.2


Foto: Cucina Alchimia


Ein Bitcoin-Miner ist ein spezialisiertes Computersystem, das komplexe mathematische Probleme löst, um neue Bitcoins zu generieren und Transaktionen im Bitcoin-Netzwerk zu validieren. Dieser Prozess, bekannt als Mining, beinhaltet den Einsatz erheblicher Rechenleistung.

Und dann lag dieses Ding plötzlich da. Klobig, glatt, schwarz, mit lustigen LEDs und irgendwie kleiner als gedacht. Wie es tatsächlich bei uns gelandet ist, weiß niemand mehr genau. Wahrscheinlich hat es sich irgendwo selbst frei geschürft und bietet seine Dienste jetzt eben uns an. 

Wie dem auch sei, einmal angesteckt, beginnt da einiges zu leuchten, und es wird sehr schnell sehr heiß. Faszinierend. Ein echter Bitcoin-Miner.


Aber damit muss uns doch was Besseres einfallen, als Bitcoins zu schürfen. Also schnell den Cyber-Franz angerufen. Der kennt sich aus, und ruckzuck ist das Ding umgebaut und stellt seine Rechenleistung in den Dienst von Folding@home3, ein Volunteer-Computing-Projekt der Stanford-Universität, das an Proteinfaltung forscht. 


Proteine sind langkettige Aminosäuren. Durch den Prozess der Faltung erhalten sie ihre dreidimensionale Struktur. Diese Struktur ist essenziell für eine fehlerfreie Funktion des Proteins im Körper. Fehlgefaltete Proteine können zu unterschiedlichen Krankheiten führen, z.B. Alzheimer, Parkinson, Covid-19 oder Krebs. Folding@home dient der Krankheitsforschung und simuliert Proteinfaltungen. Dieser Prozess benötigt Unmengen an Rechenleistung. Um diese zu gewährleisten, werden die komplexen Prozesse auf mehrere zur Verfügung gestellte Computer aufgeteilt und deren gemeinsame Rechenleistung für die Aufgabenbewältigung genutzt. 


Das klingt jetzt alles ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, aber tatsächlich erreichte das Projekt am 13. April 2020 während der Covid-19-Pandemie eine kombinierte Rechenleistung, die schneller war als die 500 schnellsten Supercomputer der Welt zusammengenommen, und übertraf damit den zu diesem Zeitpunkt schnellsten Supercomputer um das 15-Fache.4

In etwa zeitgleich mit der Auseinandersetzung des umprogrammierten Miners befassten wir uns, im Zuge der geplanten Restaurant-Eröffnung, mit der Frage eines sinnvollen und nachhaltigen Umgangs mit sogenannten invasiven Arten. Das sind meist Lebewesen (Flora und Fauna), die gebietsfremd, weil eingeschleppt, die heimische Biodiversität gefährden können. Klassische Beispiele hierfür sind der Japanische Staudenknöterich oder der Signalkrebs. Vor allem der Signalkrebs fühlt sich in heimischen Gewässern zunehmend wohl und verdrängt den heimischen Edelkrebs. Na bitte, das passt ja wie die Faust aufs Auge. Quasi Krebsforschung auf kulinarischer Ebene. 


Thomas Koller ist Krebsfischer an der Traun, einem Nebenfluss der Donau. Er fischt Signalkrebse, diese eingeschleppte invasive Flusskrebsart. Seit dem erstmaligen Auftauchen dieser um 1860, aber vor allem seit er in den 1970er Jahren zum Teil bewusst ausgesetzt wurde, verdrängt der Signalkrebs als Überträger der Krebspest die heimischen Edelkrebsbestände. Mittlerweile gibt es hier auch kaum noch Fische. Nur mehr Signalkrebse. So weit das Auge reicht. Oder besser: die Reuse …
2,86 Tonnen allein auf dem von Thomas Koller befischten Abschnitt von nur 160 Meter Länge. Und kein Ende in Sicht. Eine invasive Art par excellence. Die müssen da raus.


Im Sinne der Ton Steine Scherben: Mach kaputt, was dich kaputt macht! Oder wie es Silo-Chef Douglas McMaster so schön formulierte: „Eat the Enemy!“ Also endlich Tiere essen ohne schlechtes Gewissen.
Crayfish Buffet, all you can eat! 


Foto: Cucina Alchimia

Ein passendes Setting war zum Glück schnell gefunden. Zusammen mit der Techno-Kitchen-Worldwide5 verkochten wir 50 Kilo dieser Krebse an einem sonnigen Nachmittag im Sommer 2023 im Rahmen einer Performance im Museumsquartier in Wien.


Mit Live-Techno, Wein von Alwin Jurtschitsch und frisch zubereiteten Flusskrebsen. Bleibt nur noch das Problem mit diesen Karkassen …
Jus ist keine Option, weil fad. Eine Essenz muss her. Ein Garum. 
Apropos Garum. Hierbei handelt es sich um eine seit der Antike bekannte Würzsauce. Ähnlich der heute, vor allem im asiatischen Raum, gebräuchlichen Fischsauce.


Damals meist aus ganzen Fischen wie Thunfisch, Aal, Sardellen usw., die einschließlich ihrer Eingeweide (weil diese die für die Fermentation notwendigen Enzyme enthalten) mit Salzlake vermischt und in großen Becken, meist in der Nähe von Fischereihäfen, unter freiem Himmel vergoren wurden. In unserem Fall dienen die Flusskrebs-Karkassen als Basis. Diese werden mit Wasser, Salz und Koji (weil dieser hier als enzymatisches Substitut dient) vermischt und dann bei konstanter Temperatur kontrolliert fermentiert. Dieser Prozess dauert in etwa vier Wochen und liefert, nach dem Abseihen, eine klare, tiefdunkle Flüssigkeit, reich an Umami und Krebs-Aromen. Ideal zum Würzen und Kochen. 

Na bitte, mehr hat es nicht gebraucht, der Kryptochef war geboren! 

Das Setup ist denkbar einfach. Der Kryptochef besteht aus drei übereinandergestapelten und gedämmten Gastro-Boxen. In der untersten befindet sich der umprogrammierte Kryptominer. In der mittleren ist ein Ventilator eingebettet, der die entstehende Abwärme gezielt in die oberste Box leitet. In dieser Fermentationsbox befindet sich, in sechs verschlossenen Rexgläsern, der Garum-Ansatz. 
Die Abwärme des Miners generiert eine konstante Temperatur von über fünfzig Grad Celsius. Die ideale Temperatur, um den Enzymen des Koji-Pilzes ein wohliges Zuhause zu bieten.
Somit war es möglich, aus der Abwärme des Miners ein Produkt aus den nach dem Festmahl übriggebliebenen Resten des invasiven Signalkrebses zu produzieren, mit dem schönen Nebennutzen, dass der Miner die gesamte Zeit seine Rechenleistung der medizinischen Forschung zur Verfügung stellte. 
Nach knapp vier Wochen war das Garum dann fertig gereift und wurde im Zuge einer Ausstellung, im Rahmen der Vienna Design Week 2023, präsentiert und feierlich verkostet. 


Illustration: Katharina Anna Wieser

Bon appetit! 

1: trend.at/invest/oeko-fussabdruck-bargeld-kryptowaehrungen
2: redbull.com/at-de/theredbulletin/bitcoin-gut-oder-schlecht-fuers-klima
3: foldingathome.org
4: gamestar.de/artikel/foldinghome-24-exaflops-schneller-als-top-500-supercomputer,3356597.html
5: instagram.com/techno_kitchen_worldwide

Weiterlesen