Wenn plötzlich Tierwohl zählt.
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Der Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig stellt sich, zusammen mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Italien, gegen die Zulassung von kultiviertem Fleisch. Wie vorhersehbar. Allein seine Aussage: „Fleisch muss Fleisch bleiben, so wie das Wort Milch nur für natürliche Milch verwendet werden darf“ – ein Argument, das oft in Hinblick auf „Konsument:innenschutz“ gebracht wird, bringt mich zum Gähnen. Die Debatte, ob Verbraucher:innen mündig genug sind, Scheuermilch und Kuhmilch auseinanderzuhalten zu können, beschäftigt die Europäische Union schon viel zu lange und es ist zum Fremdschämen. So durchschaubar ist dieser Versuch der Vertreter:innen der Milchindustrie, sich gegen Fortschritt und Vielfalt bei Nahrungsmitteln zu wehren und nichts ihrer geförderten Position abzutreten. Verständlich in dem Sinne, dass diese Personen ihre Vormachtstellung gewohnt sind, und keine Lust haben diese zu teilen. Nicht verständlich ist die lächerliche Argumentationslinie der Konsument:innenverwirrung, auf Grund derer Produkte in der EU nicht als „Pflanzenmilch“ sondern nur als Hafer-, Soja- oder Mandeldrink erhältlich sind.
Ähnlich eigentümlich die Argumentation im Hinblick auf kultiviertes Fleisch. Hier wird in einem Positionspapier „aus Sicht der österreichischen Landwirtschaft“ vom Oktober 2023 allen Ernstes von den ethischen Implikationen der Produktion gesprochen – gemeint ist dabei der Einsatz des umstrittenen fötalen Kälberserums (FBS). Abgesehen davon, dass der Stoff bereits vielseits durch pflanzliche Alternativen ersetzt wurde – ein für die Wettbewerbsfähigkeit von kultiviertem Fleisch unerlässlicher Aspekt, FBS stellte lange einen der beachtlichsten Kostenfaktoren dar – erinnert mich dieses Argument stark an all die Whataboutisms, die einem entgegenschleudert werden, wenn man nur wagt sich in irgendeiner Form um den Planeten zu kümmern. „Ah, du recycelst also? Aber beziehst du auch alles, was du besitzt, ethisch produziert, plastikfrei und biologisch? Nein? Dann bist du ein:e Heuchler:in und alle deine Bemühungen sind umsonst, und ich kann tun und lassen, was ich will, denn du bist auch nicht besser als ich.“ Solche Vibes in etwa. Auch angemerkt wird von diesen Vertretern, dass die Entnahme der Muskelprobe zur Zellgewinnung für die Tiere schmerzhaft sein könne. Really? Als Veranschaulichung: nur in Österreich werden täglich knapp 1765 Rinder geschlachtet (P.S.: nicht zu Tode gestreichelt) und man besitzt hier wirklich die Frechheit, den Schmerz einer Biopsie als Kritikpunkt zu bringen?
Das Argument des Klimaschutzes bei dieser Diskussion geht für mich in dieselbe Richtung, dieses wurde sowohl im Herbst als auch in der kürzlich beim EU-Minister:innenrat eingebrachten Erklärung aufgerollt, bei welcher Österreich federführend wirkte. Korrekt, die Produktion von kultiviertem Fleisch braucht Energie und davon sehr viel. Natürlich muss das Ziel sein, diese Versorgung aus erneuerbaren Energien zu decken – wie es so ziemlich überall in der Zukunft das Ziel sein sollte. Aber, dass genau Mitglieder einer Industrie, die für knapp 15% der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist, dieses Argument in den Ring werfen … once again, Whataboutism much?
Ich möchte hier keineswegs die Probleme und Hürden, welche die Produktion von kultiviertem Fleisch mit sich bringt, kleinreden. Sie existieren und müssen bedacht und behandelt werden. Es fühlt sich nur mehr als scheinheilig an, wenn diese Aufrufe aus diesen spezifischen Mündern kommen. Triftig finde ich beispielsweise das Argument des potenziellen Verlustes einer Industrie und den damit einhergehenden Arbeitsplätzen. Man bedenke, multiple Fleischindustrie-Giganten (darunter etwa Tyson, Cargil, Rügenwalder Mühle) investieren sowohl in alternative Proteine als auch in kultiviertes Fleisch. Mich beschleicht aber in Wahrheit der Verdacht, dass sich Konzernchef: innen mehr um ihre eigenen Positionen sorgen als die ihrer Fabrikmitarbeiter:innen und noch viel weniger um das Wohl der Tiere. Aber wer weiß das schon.
Ein weiteres getätigtes Argument ist das der zukünftigen Abhängigkeiten von Großkonzernen. Fakt ist: Im Feld der kultivierten Fleischindustrie tut sich rasend viel, zuletzt wurde im Jänner einem israelischen Unternehmen die Genehmigung für sein kultiviertes Fleischprodukt erteilt. Dass sich konservative Kräfte bei uns vehement gegen Fortschritt stellen, anstatt in dieses Feld zu investieren und dass sich Österreich mit diesen protektionistischen Anwandlungen ausgerechnet mit der rechtspopulistischen Regierung Italiens auf ein Packerl haut, die kultiviertes Fleisch schon im Vorhinein verboten hat, ist traurig aber irgendwie nicht besonders überraschend. In den Niederlanden (und in anderen Ländern der Welt sowieso) werden enorme Summen in Forschung und Entwicklung investiert. Hingegen fühlt sich das Verweigern von Weiterentwicklung und das Beschweren über den Fortschritt anderer hierzulande leider ein wenig zu typisch an.
Die mit der Produktion von kultiviertem Fleisch einhergehenden Kosten, Probleme und Herausforderungen sind real und sollen nicht mit verklärtem Blick auf eine glänzend futuristische Zukunft beiseitegeschoben werden, aber es ist klar, was all diese Versuche der Empörung in Wahrheit sind: Das offensichtliche Straucheln von Industrien, die etliche Vorteile genießen, sich lange in Sicherheit gewiegt haben und gerade ins Schwitzen kommen.