Gesellschaft, Produktion

Erforscht: Der Inhalt einer Vurst

von Irina Zelewitz

Es geht jetzt um die Wursthaut. Ein weiterer Fleisch- und Wurstwarenhersteller beugt sich dem Markt und füllt sie pflanzlich.

Foto: Sebastian Philipp

Soja, Karotten und Gewürze werden in eine Wursthaut gepresst – die ist freilich aus Alginat, damit das ganze schön vegan bleibt – gegart, luftgetrocknet, und fertig sind die „Veggie Tyrolini” und „Veggie Wurzerl”. Erhältlich seit Ende April als Snack unter anderem auf Berghütten und in Supermärkten in Österreich und Deutschland. Nicht zu verwechseln mit den „Tyrolini” Salamisticks und den Kaminwurzerl aus Rohwurst, obwohl: Das Handwerk für die Produktion ist dem Hersteller Handl Tyrol zufolge ähnlich. Sogar die gleiche Hülle aus Algen wird für beide Schienen verwendet. 
Mit dieser puristischen Grundrezeptur steigt der Fleisch- und Wurstwarenhersteller nach drei Jahren Entwicklungszeit in den Markt für Plant-based-Snacks ein. Genauer gesagt in den für „fleischlose Snacks in Wurstform”, denn die verlangten die Verbraucher:innen, weiß man bei Handl aus „tiefpsychologischen Studien” zum Konsument:innengeschmack, die die Produktentwicklung begleiteten. Aus dieser Marktforschung weiß man außerdem, dass die veganen Snackwürste „natürlich aussehen sollen wie das Original” – und das Original, das hier Pate steht, ist das jeweilige Fleischprodukt im Handl-Sortiment. Gleichzeitig muss es aber „unverwechselbar im Geschmack” sein. Dass es eine ähnliche Textur und Aussehen wie das Fleischprodukt aufweist, allerdings keinen Fleischgeschmack imitiert, sei für Veganer:innen und Vegetarier:innen die wichtigste Anforderung ans Produkt, fasst Inhaber und Geschäftsführer Karl Christian Handl zusammen.
Während die befragten Flexitarier:innen aufgeschlossen dafür waren, dass ihr pflanzlicher Snack nach Fleisch schmeckt, wollten Vegetarier:innen und Veganer:innen nicht nur auf Wurst, sondern auch auf deren Geschmack verzichten. Vorbei also die Zeiten, in denen Fleischersatzprodukte danach bewertet wurden, wie gut sie geschmacklich Fleisch imitieren können? Handl fängt sich das jedenfalls angeblich erst gar nicht an: „Denn ein Produkt, das kein Fleischprodukt ist, kann auch nicht nach Fleisch schmecken, wenn man es ehrlich produziert”, betont Karl Christian Handl. Mit ehrlich meint er den Verzicht auf „unnötige Zusatzstoffe” und den Einsatz von natürlichen Rohstoffen und Gewürzen. Einen reservierten Zugang zu hochverarbeiteten pflanzlichen Produkten hat Handl sich behalten, Anfang 2021 hat er im Kontext Hybridfleisch im Interview das Konsumverhalten mancher als „geradezu pervers” beschrieben: „Für hochverarbeitete Pflanzenpampe mit 25 Zusatzstoffen zahlen die Leute 26 oder 28 Euro pro Kilo. Für ein Kilogramm Fleisch sind sie aber nur drei oder vier Euro zu zahlen bereit. Und gleichzeitig fordern sie mehr Tierwohl ein”.


Foto: Julian Raggl

Verarbeitete Produkte seit 1902

Jenen aber, die heute vor verarbeitetem Getreide und Gemüse, das so tut, als wäre es Fleisch, die Nase rümpfen, begegnet Karl Christian Handl gelassen: „Abwechslung in der jeweiligen Ernährungsform ist etwas Normales. Und dass ein veganes Produkt in seiner Form oder seinem Namen dem Fleischprodukt ähnelt, ist nichts Schlimmes”, und verkneift sich als einer, der nun den Vergleich hat, nicht den Hinweis: „Auch Fleisch wird ja verarbeitet und nicht nur in seiner Urform konsumiert.”
Verwurstet wird nach 120 Jahren Betriebsfokus auf Fleisch nun, nachdem unter anderem mit Erbsen- und Weizenprotein (Seitan) getüftelt wurde, Soja. Dafür entscheidend sei vor allem der Geschmack gewesen, der nicht übertönt, sondern genutzt werden sollte, sagt Karl Christian Handl. Als weiteren Grund gibt er dann, dass es sich bei Soja um einen altbekannten Rohstoff handelt, von dem perspektivisch in Mitteleuropa ausreichend in gentechnikfreier Qualität verfügbar ist. Möglichst regional sollen die Rohstoffe bezogen werden, die derzeit bayerischen Karotten sollen etwa durch österreichische ersetzt werden. Diese etwa auch in Bioqualität zu beziehen steht derzeit nicht auf dem Plan.
Zum Start fünf, bald zehn Tonnen vegane Wurstsnacks werden am neu errichteten fünften Produktionsstandort in Vomp in Tirol produziert. Angelegt sind aber schon einmal Produktionskapazitäten für 1000 Tonnen im Jahr. Denn bis zum Jahr 2030 hat sich das Tiroler Unternehmen zum Ziel gesetzt, 15 Prozent seines Absatzes mit dem veganen Sortiment zu erzielen. 185 Millionen Euro Gesamtjahresumsatz waren es 2022, bei einer Exportquote von über 60%. Den absoluten Absatzmengen, die mit Fleischprodukten erzielt werden können, sind im mitteleuropäischen Markt, den Handl bedient, jedenfalls neue Grenzen gesetzt: Der Fleischkonsum geht in Deutschland und langsamer auch in Österreich inzwischen insgesamt zurück.
Erst 2018 war das vierte Werk, in Haiming, eröffnet worden, das vor allem zur Konkurrenzfähigkeit des Exportvolumens des Tiroler Specks beitragen sollte. Während Handl Anfang 2021 im Veganismus noch „ein eher vernachlässigbares Nischenphänomen” sah, wurden nun auf 5000 Quadratmetern in Vomp alter Gebäudebestand zum Produktionsstandort samt Lager- und Logistik für die vegane Linie umgebaut. „Handl Tyrol geht mit der Zeit. Als Erfinder der Kaminwurzerl und der Tyrolini war eine vegane Alternative der logische nächste Schritt”, beschreibt Karl Christian Handl inzwischen die Zwangsläufigkeit des verbreiterten Angebots seines Unternehmens. Ganz weg vom Speck will Handl aber nicht, das klassische Sortiment soll bestehen bleiben.
Günstiger als die Fleisch-Varianten seien die veganen Wurstsnacks in der Produktion übrigens nicht, das liege aber an der Verarbeitung und weniger am Rohstoff, sagt Handl, ohne weitere Details bekannt zu geben. Mutmaßlich könnten die gesteigerten Produktionsmengen den Kostenvergleich zwischen Veggie- und Fleischvariante noch verschieben. Wobei auch die Preisentwicklung auf dem Markt für Schweinehälften Wursthersteller zur Umstellung auf flexitarische Produktionsgewohnheiten motivieren könnte. Mit Handl hat jedenfalls ein weiterer der großen österreichischen Fleischverarbeitungsbetriebe entschieden, den Markt für vegetarisch-veganen Fleischalternativen nicht länger den Start-ups der Gemüsefraktion und der internationalen Konkurrenz überlassen zu wollen. Wie etwa auch die Marcher Fleischwerke (seit Februar 2023 komplett vegane Wurstalternativen unter der Marke die ohne) oder Hermann und Thomas Neuburger (seit März 2023 zurück mit veganen Pads aus Bioseitlingen unter der Marke Hermann.bio), allerdings mit einer erkennbar anderen Strategie, versucht Handl, mit seinen veganen Snackwürsten eine Nische in der Nische zu besetzen.

handltyrol.at

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