Gastronomie, Gesellschaft, Zukunft

Alles außer Mittelmaß

von Anna Burghardt

David Zilber im Popchop-Porträt

Foto: Florence Stoiber

In der Foodszene hat er Legendenstatus, dementsprechend groß war das Interesse am Live-Interview mit dem früheren Fermentationschef des Noma beim Popchop Festival 2023 in Wien.

David Zilber ist einer jener Menschen, die so intensiv, so gehaltvoll sind, dass man aus ihnen gleich zehn Leute basteln könnte. Allein die schieren biografischen Eckpunkte: ein afro-karibischer Jude aus Kanada in Dänemark. Außerdem: Ein „New York Times“-Bestseller („The Noma Guide to Fermentation“, auf Deutsch bei Kunstmann erschienen), ein weiteres Buch ist in Arbeit. Ein nachgewiesen extrem sensibler Geschmackssinn. Ein nicht eben dezenter Kleidungsstil, der ihm Eintritt ins Modeuniversum verschaffte, Werbeaufträge und Fashion-Show-Tickets inklusive. Er selbst sagt über sich: „Ich habe panische Angst davor, mittelmäßig zu sein.“ 
Mit 17 begann Zilber, noch in Kanada, zu kochen, kam später ins Noma in Kopenhagen, wo ihn Chef René Redzepi nach einiger Zeit zum Fermentationschef ernannte. Als solcher wurde David Zilber in der Foodszene eine Legende. Dass er diese Position im wohl einflussreichsten Restaurant des vergangenen Jahrzehnts bekommen hat, führt er darauf zurück, dass er auf die absurdesten Fragen eine Antwort zu haben pflegte – „die Liebe zur Wissenschaft hat mir mein Vater, ein Ingenieur, weitergegeben“ – und dass er las wie ein Verrückter. (Auf seinem Instagram-Profil kann man sich ein Bild davon machen, welche Art von Lektüre er in welchem Tempo frisst.) Dabei sei es heute so leicht wie nie zuvor, sein Potenzial zu verschwenden und sich einfach bespaßen und ablenken zu lassen.


David Zilber im Live-Interview beim Popchop Festival 2023. Foto: Florence Stoiber

„Es war ungefähr so: An 18-Stunden-Tagen nützte ich die 30 Minuten während der Teammahlzeiten, um zu lesen. René fragte, was machst du, Mann?, und ich sagte, ach, ich lese ein Buch über die Geschichte der Evolution. Ich habe nicht versucht, extraschlau zu wirken, aber ich habe einfach immer Bücher gelesen. Eines über Sprache, ein vertiefendes über dasselbe Thema, dann eines über die Evolution, und irgendwann sind es Kaskaden.“   
Es war denn auch ein Buch, das David Zilber schlussendlich ermutigte, das Noma im Jahr 2020 zu verlassen, wie er beim Live-Interview im Heuer im Rahmen des Popchop Festivals 2023 erzählte. Im Buch „The Artist’s Way“ von der Künstlerin und Autorin Julia Cameron fand er den Satz „Jump, and the net will appear“. 
Die Corona-Pandemie hatte die Gastronomie lahmgelegt. Und das Reisen. Für ein „destination restaurant“, das zu einem so großen Teil von ausländischen Gästen lebt, war es undenkbar, wie gewohnt zu funktionieren, selbst in jenen Phasen, in denen die Lokale in Dänemark mit seinen besonders strengen Lockdown-Regelungen offen haben durften. Das Noma sattelte auf Burger um. „Wir gingen also irgendwann wieder zur Arbeit, und ich wurde angeschrien wegen Zwiebelringen für Burger“, erinnert sich David Zilber. „Aber ich hatte dort ja doch eine gewisse Amtszeit absolviert. Wenn man so viel von sich selbst investiert, sich fast selbst verlieren muss, um diese Position auszufüllen… Schwer zu erklären, wie intensiv es vor allem im alten Noma war.“ Zilber spürte jedenfalls, dass er am Ende des Noma-Weges angekommen war. Schon der erste Lockdown habe seine Perspektiven gewaltig verschoben. „Ich hatte nichts Anderes in Aussicht. Es war wirklich beängstigend, zu kündigen. Aber uns ist nicht bewusst, was wir alles schaffen können, wenn wir uns im freien Fall befinden und landen müssen.“ 

Foto: Florence Stoiber

Jump, and the net will appear. Das Netz für David Zilber erschien in Form eines Engagements – offiziell „Fermentationspartnerschaft“ genannt – beim dänischen Biotechnologieriesen Chr. Hansen. Die Unternehmensbasis von Chr. Hansen sind 50.000 Bakterienstämme, man bietet „mikrobielle Lösungen“ für die Lebensmittel-, die Pharma- und die Agrarindustrie, etwa Joghurtbakterien, Käselab oder Weinhefe, die Produkte tragen sexy Namen wie BACTOFERM ® C-P-77. „Ein Großteil der Menschen weltweit isst täglich etwas, das mithilfe der Bakterien von Chr. Hansen erzeugt wurde.“ Falls sich nun jemand fragt, ob der Mode-Nerd in seinem neuen Job täglich einen weißen Labormantel (oder eine exzentrische David-Zilber-Spezialausgabe eines weißen Labormantels) tragen muss: nein. „Ich habe mein eigenes Labor außerhalb des Firmencampus, eine Testküche, und ich kann anziehen, was ich möchte.“ Dass man ihn räumlich separiert hat, hat praktische Gründe: Zilber soll sich kreativ mit Prototypen für Gemüseburger, die nach mehr schmecken, Babynahrung oder probiotische Saucen austoben können, und zwar rasch, ohne den gesetzlichen Rattenschwanz. „Ich kann einfach einen indonesischen Tempeh-Produzenten anrufen und mir seine Sporen geben lassen. Ohne dass man zuerst das Arbeitssicherheitsinspektorat herholen müsste, um Kreuzkontaminierung zu vermeiden.“ 
Schon im Noma hat er daran gearbeitet, aus Gemüse so viel Geschmack wie nur irgendwie möglich herauszuholen (in anderem Zusammenhang spricht Zilber von „Farben am Gaumen“). Die dortige „Vegetable Season“ im Sommer sei für ihn immer die aufregendste gewesen. „Es gilt das lächerliche Bisschen an Protein etwa in Karotten durch Dehydrieren und Rösten zu konzentrieren, den enthaltenen Zucker zu karamellisieren, und dann muss man das Gemüse mit umami aufladen.“ Durch Fermentation. „Fermentation ist langsam.“ Gemüse nach mehr schmecken zu lassen sei also sehr aufwendig und brauche Zeit. Die Industriekunden von Chr. Hansen hätten aber gern schnelle Lösungen, die am besten nur minimal von ihren bisherigen Rezepten abweichen sollen. Am liebsten einen silbernen Sack mit weißem Pulver, das alles besser macht. David Zilbers Herausforderung ist es also neuerdings auch, mit solchen Erwartungshaltungen umzugehen, der Industrie auf ihrem Status quo zu begegnen.
Von kultiviertem Fleisch hält Zilber wenig. „Ich würde es gern mögen, aber ich meine, lernt doch einfach, aus Gemüse richtig gute Dinge zu kochen. Wie richtig guten Mapo Tofu aus faschierten Pilzen und Tofu.“ Zilber glaubt auch nicht, dass in zehn Jahren deutlich mehr kultiviertes Fleisch auf dem Markt sein wird, um konventionelles Fleisch zu ersetzen. „Es ist doch lustig, dass jedes Jahr hunderte Millionen Dollar an Risikokapital in diese Firmen gepumpt werden, und noch immer sind kaum Produkte auf dem Markt, und schon gar nicht in größeren Dimensionen.“ Wie sieht ein nachhaltiges Ernährungssystem der Zukunft denn in David Zilbers Augen aus? „Hyperlokal. Es muss nicht vegan, nicht einmal fast vegan sein. Da muss nur deutlich weniger Fleisch sein.“ Und Gemüse, das nach mehr schmeckt. 


Foto: Florence Stoiber

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